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Die Totenviole: Blume der Jungfrauen und des ewigen Lebens
Die Geschichte des Immergrüns (Vinca minor) ist sehr lang, aber unheimlich interessant. Für unsere Urgroßeltern war es eine Totenblume, die im Volkstümlichen auch so genannt wurde. Nicht nur als Totenblume machte sie sich einen Namen, sondern sie war auch das Sinnbild der Treue und den Jungfrauen geweiht.
Der Kranz der Jungfrau: Daher bekamen Jungfrauen bei ihrem Tod einen Immergrünkranz mit in das Grab. Noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sollte kein Jüngling, keine Jungfrau begraben werden, deren Leiche nicht mit einem Kranz aus diesem Kraut geschmückt war. So ein Kranz schützte die Toten vor Verwesung.
Historischer Bericht: Hieronymus Bock berichtete, er habe im Jahr 1535 einen schon lange begrabenen Leichnam gesehen, der samt seinem Sinngrünkranz nicht verwest gewesen war.
Vorsicht: Wenn aus einem Immergrünstrauch ein Kranz für einen Toten gepflückt wurde, so soll es nicht gut sein, aus demselben Strauch einen Kranz für eine Braut zu nehmen, denn diese würde dann nicht lange leben.
Die Totenviole, auch Totengrün genannt, über ein Grab gepflanzt, betrachtete man als einen unzerstörbaren und schützenden Teppich, der den Schlummernden auf das Sanfteste einhüllt. Bei Begräbnissen einer ledigen Person trugen die Kerzenmädchen in Leitmeritz (Tschechien) häufig Kränzchen von Totenkraut auf dem Kopf. Daher gehört das Immergrün fest in den Ahnenkult.
Der Rosmarin und auch der Efeu teilen sich das alte Ahnenwissen mit dem Immergrün. Sie sind alle drei Pflanzen, die mit dem Sterben sinnbildlich zu tun haben. Der Rosmarin teilt sich mit dem Immergrün, Freude und Leid gleichsam willkommen zu heißen, und der Efeu symbolisiert den gleichen Charakter wie das Immergrün.

Orakel der Liebe und des Todes
Das Immergrün trat nicht selten in Orakeln auf.
Das Wasser-Orakel: In der Matthiasnacht flochten sich die Mädchen einen Immergrünkranz, einen aus Stroh und nahmen eine Handvoll Asche. Damit gingen sie um Mitternacht schweigend an ein fließendes Gewässer, wo sie die drei Sachen schwimmen ließen. Schweigend mit verbundenen Augen tanzte ein Mädchen nach dem anderen um das Wasser und griff sich dann die Weissagung:
- Im Immergrün den Brautkranz,
- im Stroh Unglück,
- in der Asche Tod (Hildesheim).
Heirats-Orakel: Vielfach bestand das Orakel darin, dass Immergrünblätter ins Wasser geworfen wurden und aus dem Zusammenschwimmen zweier Blätter auf die künftige Heirat geschlossen wurde.
- Anleitung: Am Bartholomäustag (24. August) werden in der Spinnstube in eine Mulde voll Wasser zwei Blätter vom Immergrün gelegt, eins für einen Junggesellen, das zweite für ein Mädchen, und zwar an jedem Ende der Mulde ein Blatt. Dann wird die Mulde auf einen Schemel oder eine Bank gestellt und für jedes Blatt ein Name gesagt. Schwimmen die Blätter zusammen, so kommt auch das Paar in diesem Jahr zusammen; wenn nicht, so wird aus der Heirat nichts.
Feuer-Orakel: An Neujahr legte man ein Immergrünblatt auf die Feuerstelle oder auf eine heiße Feuerschaufel; kräuselt es sich, so bedeutete es Glück; verbrennt es, so stirbt man im kommenden Jahr.
Diebes-Orakel: Immergrün auf eine heiße Pfanne, und zwar in dem Namen dessen, den man verdächtigt, gestohlen zu haben. Ist die Person schuldig, so springt das Blatt wieder heraus, wenn nicht, so bleibt es darin (Stuttgart 15. Jh.).

Schutz vor Hexen und dem Weichselzopf
Das zwischen den beiden Frauentagen gesammelte Immergrün wirkte gegen Zauber, berichtete man damals aus der Oberpfalz. Dieses Kraut schützte gegen Zauberkrankheiten, wenn es am Palmsonntag oder an Maria Himmelfahrt gesammelt wird.
- Schutzamulett: Wer dieses Kraut, als Amulett, bei sich trug, über den hat der Teufel keine Gewalt. Wenn man Wurzeln an Maria Himmelfahrt grub, so haben sie noch größere Kraft als sonst. Wer Sinngrün bei sich trägt, das zwischen zwei Marientagen gesammelt sein muss, dem tat weder der Teufel noch die Hexe etwas an.
- Haus und Hof: Sie können auch in kein Haus, über dessen Tür diese Pflanze hing. In den Stall gehängt, schützte es vor Hexen. Ebenso gab man den Tieren an Walpurgis drei Stängel Immergrün zu essen.
- Blitzschutz: In den Alpen weihte man Immergrünkränze und hing sie vor den Fenstern auf; sie seien gut gegen den Blitz, so der Glaube.
- Für Kinder: Unter das Kopfkissen des Kindes gelegt, milderte es die Krämpfe und half bei schwerem Zahndurchbruch.
Gegen Liebeszauber: Die Totenviole, wie sie mancherorts hieß, war vorzüglich gegen Zauberei, besonderlich gegen die durch Besprechung oder Hexentränke hervorgerufene Liebe. So was wurde damals in so manchen Kräuterbüchern des 18. Jahrhunderts angepriesen. Dafür wurde das Kraut am Maiabend gesammelt. Diese Menschen, die den Alten Glauben im 18.-19. Jahrhundert noch massiv ausübten, wurden mancherorts Altgläubige, also keine Heiden mehr, genannt.
Im damaligen Polen war das Immergrün ein Zaubermittel, um den Weichselzopf (verfilzte Haare wegen Läusebefall oder unzureichender Haarpflege) zu verhindern. Man dachte damals, dass die Hexen über Nacht einem die Haare verknoten und verfilzen.


